Die demographischen Trends zeigen eine rasante Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung des Menschen. Während die “alten” Griechen im Schnitt kaum 18 Jahre alt wurden (inkl. Säuglingssterblichkeit), brachten es die Römer auf rund 22 Jahre. In Deutschland lag die Lebenserwartung zu Beginn der Neuzeit bei 28 Jahre, und sie entwickelte sich langsam nach oben: Um 1880 lag die Lebenserwartung bei 38 Jahren. Nun begann eine atemberaubende Entwicklung. Anfang des 20. Jahrhunderts 57 Jahre, zur Mitte des Jahrhunderts 66 Jahre, um 1990 76 Jahre und im Jahr 2006 haben 65-jährige Frauen eine Erwartung von 85,2 Jahren und Männer 81,8 Jahre.
Derzeit steigt die durchschnittliche Lebenserwartung um 3,5 Monate pro Jahr.
In Baden-Württemberg hatten wir im Jahr 2000 eine “demographische Zeitenwende”: Seit 2000 gibt es im Land mehr ältere als junge Menschen.
Mit dem Alter steigen die Risiken eines Sturzes. In Deutschland haben wir rund 5 Mio. Stürze bei Älteren (über 65). Davon gab es 10% behandlungspflichtige Verletzungen und 120.000 Brüche des Oberschenkels, mit steigender Tendenz, sowie 130.000 Frakturen anderer Knochen mit Krankenhausaufnahme.
80-jährige in Privathaushalten stürzen häufiger als 60-jährige. Die meisten Stürze gibt es in Alten- und Pflegeheimen (was jedoch nicht an den Häusern liegt, sondern daran, dass Bewohner von Pflegeheimen öfter mehrere gesundheitliche Probleme zugleich haben).
Bis zu 20% der Krankenhauspatienten stürzen mindestens einmal während des stationären Aufenthaltes.
Stürze sind die häufigste nicht natürliche Todesursache bei über 65-jährigen.
Stürze sind die 7. häufigste Todesursache insgesamt bei über 65-jährigen.
Andere Konsequenzen nach einem Sturz: Sturzangst (über 50%), Langliegen ohne Fraktur (4-5%) und sozialer Rückzug.
In Abhängigkeit vom Lebensalter steigen (bei Frauen) Knochenbrüche etwa bis zum 70. Lebensjahr moderat an. Ab dem 70. steigt die Häufigkeit von Oberschenkelfrakturen rapide an (steiler, als z.B. Hand-, Arm- oder Wirbelfrakturen).
Frauen haben rund viermal mehr Schenkelhalsbrüche als Männer.
In absoluten Zahlen ausgedrückt sind die Fälle von Schenkelhalsbrüchen bis 2010 moderat jedes Jahr gestiegen, von nun an steigen sie rasant und werden sich bis zum Jahr 2050 mehr als verdoppeln.
Sterblichkeit zeitlich in der Nähe einer Operation: 11%. 1-Jahressterblichkeit: 25%.
Nach dem Frakturereignis schränken 80% der Betroffenen ihre Aktivitäten ein und entwickeln Hilfe- und Pflegebedarf und 20% der Betroffenen siedeln in ein Pflegeheim um.
Die meisten Stürze sind mit über 80% sog. lokomotorische Stürze, d. h. sie haben etwas mit der natürlichen zielgerichteten Fortbewegung des Menschen zu tun und werden nicht etwa durch äußere Einflüsse (z.B. Unfälle) oder durch Krampfanfälle verursacht.
Voraussetzungen für Bewegung sind das intakte Funktionieren mehrerer Mitspieler: Haltungs- und Bewegungsapparat (Knochen, Gelenke, Muskeln, Sehnen, Bänder), Nervensystem (Neuromuskuläre Koordination, Sinnesorgane (Augen, Gleichgewichtssystem, Gefühl, Lagesinn) und das Gehirn (Zentralnervensystem).
Mehr als 90% aller Stürze sind multifaktoriell bedingt. Nur 10% haben eine einzige Ursache.
Wichtig ist deshalb die Kenntnis der verschiedenen Sturz-Risikofaktoren. Man muss sie kennen, um sie modifizieren zu können und damit das Sturzrisiko zu reduzieren.
Man unterscheidet drei Gruppen von Risikofaktoren für Stürze.
1. Situative Faktoren (durch die jeweilige Situation bedingt) Beeilung beim Gehen, Treppenbenutzung, ungeeignete Schuhe oder Gehhilfsmittel, Selbstüberschätzung
2. Extrinsische Faktoren (von außen her angeregt, nicht aus eigenem Antrieb) Umgebung (Glatteis, nasses Laub), Wohnumfeld (Stolperfallen, schlechte Beleuchtung, fehlende Haltegriffe)
3. Intrinsische Faktoren (von innen her, durch in der Person liegende Faktoren bedingt) z.B. weibliches Geschlecht, Alter (z.B. über 80 Jahre), Krankheiten, unerwünschte Arzneimittelnebenwirkungen (z.B. Neuroleptika, Antikonvulsiva, Antidepressiva, Diuretika, ASS, Augensalben), vorangegangener Sturz. Alkohol
Die Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit im Alter beinhaltet eine Reihe von intrinsischen Sturz-Risikofaktoren. Altersphysiologische Veränderungen führen zwangsläufig zu einer zunehmenden Einschränkung von: Kraft, Beweglichkeit, Schnelligkeit; Balance, Gleichgewicht; Geschicklichkeit, Koordination; Aufmerksamkeit, Konzentration; Wahrnehmungsfähigkeit, Sehen, Hören, Fühlen...; Reaktionsgeschwindigkeit
Muskelmasse im Alter. Die Untersuchung der häufigsten Risikofaktoren für Stürze hat gezeigt, dass die Muskelschwäche als Risikofaktor Nr. 1 gelten kann. Bis zum 80. Lebensjahr verlieren wir durch altersbedingte Veränderungen und passiven Lebensstil (“Couch Potato”) 20 bis 40% unserer Muskelmasse.
Ältere Menschen verlieren 3 bis 4% Kraft pro Jahr.
Noch schnellerer Kraftabbau bei Erkrankungen und Bettlägrigkeit.
ABER: Kraft ist bis ins hohe Alter trainierbar!
Balance und Mobilität. Es gibt eine Reihe von quantifizierenden Testverfahren, die während einer Untersuchung vorgenommen werden können. Dr. Wächter machte während ihres Vortrages mit den Teilnehmern einen Balance-Test: Gerade stehen, die Füße nebeneinander: Parallelstand; dann ein halber Schritt vor: Semi-Tandemstand; dann ein Fuß vor dem anderen: Tandemstand; schließlich Einbeinstand.
Chair stand up Test (etwa: Vom Stuhl aufstehen Test). Mit diesem Test wird überprüft, ob ein Mensch kraftgemindert ist. Kraftgemindert und dadurch sturzgefährdet ist, wer nicht in max. 10 Sekunden fünfmal aus einem Stuhl aufstehen kann, ohne sich mit den Armen abzustützen (d.h. mit verschränkten Armen).
Timed up and go Test (etwa: Aufstehen und gehen Test). Der Patient sitzt gerade auf einem Stuhl. Auf Aufforderung soll der Patient aufstehen und mit normalem und sicheren Gang bis zu einer Linie in 3m Entfernung laufen, sich dort umdrehen, wieder zurück gehen und sich auf den Stuhl setzen. Die benötigte Zeit wird gemessen. Unter 20s: Patient ist in seiner alltäglichen Mobilität vollständig unabhängig; 20 bis 30s: Mobilitätseinschränkung, die funktionelle Auswirkungen hat: weitere Prüfungen notwendig; über 30s: Ausgeprägte Mobilitätseinschränkungen: intensive Betreuung und adäquate Hilfsmittelversorgung erforderlich.
Krafttraining (Arnold Schwarzenegger lässt grüßen). Die größte Überraschung für die Zuhörer war wohl das Ergebnis, dass kaum eine andere Sport- oder Gymnastikmethode zur Minderung des Sturzrisikos so zielführend ist, wie das Krafttraining! Krafttraining ist dabei nicht nur förderlich für den Aufbau von Muskelmasse, sondern auch für den Aufbau von Knochenmasse. Deshalb ist Krafttraining bei Osteoporose ideal!
Kraftleistungen korrelieren signifikant mit Schlüsselfunktionen wie Gehen oder Stehen.
Mit der normalen alltäglichen Beanspruchung sind gesunde Ältere weit unter der Leistung, die den Verlust der Selbständigkeit verhindern könnte. Mit anderen Worten, alltägliche Bewegungen helfen uns nicht wirklich weiter, wenn wir das Sturzrisiko reduzieren wollen.
Statt dessen werden Übungen an Krafttrainingsgeräten empfohlen, Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, leichte Sprünge, Stepper, Treppensteigen.
Wichtig sind hohe Muskelzugbelastungen. Aber: Kein Training mit Maximalkraft! Fachlicher Beratung und Anleitung folgen! Die Fitnesscenter von heute sind keine “Muckibuden” mehr und gehen auf die speziellen persönlichen Bedürfnisse des Kunden ein.
Vibrationswippe. Dieses Gerät findet man in Kliniken und Fitnessstudios. Es steigert nicht nur die Muskelleistung, sondern es fördert auch den Knochenaufbau.
Ergebnisse aus der Praxis sind vielversprechend. Mit Kraft- und Balancetraining wurde bei Pflegeheimbewohnern in Ulm die Zahl der Hüftfrakturen von über 50 pro 1000 auf unter 30 pro 1000 vermindert.
Entsprechende Kraftübungen lassen sich in eingeschränktem Maße auch zu Hause durchführen. Mittels eines Stuhls, am Türrahmen (müsste vertieft werden - DM).
Weiterbildung Übungsleiter. Das Geriatrische Zentrum Karlsruhe führt in Zusammenarbeit mit dem Badischen Sportbund Spezialweiterbildungen “Sturzprävention” für Übungsleiter durch.
Fallstricke für Programme. Gruppe passt nicht zusammen, unzureichende Dauer (weniger als drei Monate, weniger als 50 Stunden im Jahr), unzureichende Intensität, unzureichende Anpassung, fehlende Motivation, unzureichende Inhalte (Walken allein bringt wenig).
Was hindert ältere Menschen am Sport? (Reihenfolge = Rangfolge) Genug andere Hobbies, fühle mich ohne Sport wohl, keine Zeit, kein Interesse, Niemand macht mit, gesundheitliche Gründe, kenne keine Möglichkeit, zu großes Verletzungsrisiko, mag keine fremden Gruppen, zu anstrengend, Angst nicht genug zu können, finanzielle Gründe, Sport nur für Jüngere. - Eine Befragung, über die man trefflich diskutieren könnte! Sind die Antworten ehrlich? Spielen die finanziellen wirklich so gut wie keine Rolle? Ist die Meinung, wir Älteren hätten in einer Muckibude nichts verloren, nicht maßgeblich?? DM
Fazit: Maßnahmen zur Verminderung des Sturzrisikos sollen zielgruppenorientiert sein (z.B. ausgerichtet auf die Vorgeschichte des Sturzes, oder Alter über 75 Jahre), Maßnahmen sollen geleitet sein von den größten Risikofaktoren (zugeschnitten auf den jeweiligen Patienten), Sturzprävention steht in engem Zusammenhang mit Osteoporose, Nachhaltigkeit sichern, Motivation durch den Arzt enorm wichtig.
Ziel aller therapeutischen Maßnahmen ist der Erhalt der Lebensqualität.
Weitere Infos: Geriatrisches Zentrum Karlsruhe im Diakonissenkrankenhaus Karlsruhe-Rüppur www.aktivinjedemalter.de und www.profane.eu.org
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